Ostrauer Architektur 3, Paul Kupelwieser
In Platons „Politeia“ (4. Jahrhundert v. Chr.) und in der Schrift „Utopia“ (1516) von Thomas More geht es um Ideale der Neuzeit. In den Jahren 1876–1893 wurden diese Prinzipien in Witkowitz (Vítkovice) nur einmal in der Geschichte der Menschheit geplant realisiert.
Werkskrippe erb. 1881
Dank Paul Kupelwieser, dem Direktor der Witkowitzer Eisenwerke, der das Konzept: a/ des Aufbaus und b/ des modernen Sozialsystems der Witkowitzer Eisenhüttenwerke – eines der größten europäischen Hüttenwerke – realisierte. (Insgesamt produzierte das Eisenwerk 90 Mio. Tonnen Eisen.)
Kupelwiesers Gedenktafel am Rathaus in Ostrava-Vítkovice
Im englischen Schlosspark von Familie Rothschild entstand die Arbeiterkolonie. Es wurden Arbeitermietskasernen, Meister- und Beamtenkolonien gebaut. Die Englische Kolonie – Beamtenhäuser im Park – standen an der Kreuzung der heutigen Russischen und Ausstellungs- Straßen (Ruská a Výstavní). Weiter wurden das moderne Werkskrankenhaus und viele Schulen errichtet: eine Werkskrippe und ein Kindergarten, Schule für Arbeitermädchen, die Fachlehranstalten und Werkmeisterschule zur Erweiterung der Fachbildung.
Schuleeingang |
Schulen in Witkowitz |
Werkskrippe: Dieser Kindergarten dient seit 1881 |
Der Kindergarten – Gesamtblick |
Arbeiterschule |
Altes Backsteingotikhaus, das den Weg von der St. Paul Kirche zum Werkskrankenhaus umrahmt |
Auf dem Zentralplatz wuchsen das noble Werkshotel und die St. Paul Kirche mit der Höhendominante des Zentrums dem Glockenturm, der zugleich genial als Wasserturm bis heute dient. In der Nähe des Zentrums auf David Straße wurde eine Markthalle erbaut – um hier schon damals die frischen Meeresfrüchte aus der Adria zu verkaufen. Als letztes wurde das Rathaus gegenüber der Kirche fertiggestellt. Alle Bauten wurden im Stil der Norddeutschen Backsteingotik mit grünen Fensterrahmen errichtet.
Kirche vom Kindergarten |
Die Rosette der Kirche |
Die Kirche mit dem Glocken-Wasser-Turm (rechts) |
Werkshotel auf dem Mírové náměstí (Zentralplatz) |
Die alte Markthalle |
Fenster in der Markthalle |
Die Stadt Witkowitz und deren fortschrittliche soziale Einrichtungen hatten kaum ihresgleichen in der damaligen Welt. Die Arbeiter wohnten zusammen mit den Angestellten und Direktoren im englischen Landschaftspark des Rothschilds Schlosses (sog. Zentralhaus), wo der Direktor wohnte. In Witkowitz erhielt auch die Natur wirklich breiten Lebensraum. Zur Arbeit gingen die Arbeitnehmer durch malerische Alleen unter alten mächtigen Baumriesen – eine Industriestadt der Zukunft. Große Gärten mit Federvieh– und Schweineställen in den Arbeiterkolonien, fließendes Wasser seit 1880 = niemals erlebte Ostrauer Gebiet Arbeiteraufstände.
Arbeiterkolonien | |
Arbeiterkolonie – Gartenfassade nach der Rekonstruktion |
Arbeiterkolonie – Straßenfassade nach der Rekonstruktion |
Arbeiterkolonie – rechts der Zustand nach der Rekonstruktion im Kupelwieser Geist, links der Zustand vorher
Arbeiterkolonie – Häuser nach den Instandsetzungen, die von Kupelwiesersarchitektur abweichen (kleine Fenster, weiße Rahmen …)
A. Differenzen mit Beamten des Hauses Rothschild, als die die umfangreichen Investitionsprogramme und Rechnungen für Sozialausgaben sahen (man baute hier auch den Kurort, Bibliothek und Sporthallen), standen ihnen die Haare zu Berge, B. Auseinandersetzungen über die Witkowitzer Architektur mit dem deutschen Stadtrat von Witkowitz und C. die heimtückischen Aktivitäten der tschechischen Kämpfer der „Nationalen Wiedergeburt“ (alle ihren Bauten wurden mit Absicht im Jugendstil erbaut und schadeten der Einheit der Backsteingotik-Architektur der Stadt) – diese Probleme bewogen Kupelwieser im April 1893 zu einem kurzfristigen Austritt aus seinem Dienst. Er beendete seine erfolgreiche Laufbahn in der Eisenindustrie von Witkowitz.
Witkowitzer Schloss (heute) umgeben von den neuen Industriehallen
Er kündigte. Als Kupelwieser als Generaldirektor in die Witkowitzer Eisenwerke eintrat, erzeugte das Eisenwerk 11 000 Tonnen Eisen, als er fortging – 1893, war es 20mal mehr.
Er kaufte die Brioni Inseln, die im Meer der kroatischen Adria liegen. Der berühmte deutsche Mediziner und Bakteriologe Robert Koch (1905 den Nobelpreis für Medizin) rottete hier die Malaria aus. Kupelwieser investierte in neue Hafenanlagen und forderte die lokale Wirtschaft, wie den Weinbau. Hotel Brioni in der Scheunenstraße (Stodolní ulice) in Ostrau (Ostrava) trägt seinen Namen nach diesem namhaften Wein. Die Inseln wurden bald zu einem Treffpunkt der exklusiven Gesellschaft der alten Monarchie. Kupelwieser hat die Hautevolee auf die Inseln gebracht – 1908 besuchte der Thronfolger Franz Ferdinand erstmals Brioni. Der Name Brioni klingt noch immer fein, verspricht etwas Schönes und Exklusives.
Das Rathaus von Witkowitz mit der Säule am Eingang, die die Streitursache mit dem Stadtrat war
Noch im Jahre 1913 lehnte Witkowitz die Eingliederung in die Stadt Ostrau ab (Witkowitz wurde noch damals als eine elitäre Stadt genommen). Das Buch „Paul Kupelwieser, Schöpfer des modernen Sozialsystems der Witkowitzer Eisenwerke“ von Jiří Matějček entstand zu Ehren eines großen Mannes, der die Träume der Philosophen in Ostrau- Witkowitz (Ostrava-Vítkovice) verwirklicht hat. Nach seinem Abgang begann der langsame Niedergang von Witkowitz, dem die Nachkriegszeiten die Krone aufsetzten. (Wachstum der Kohlenförderung – 4 Gruben, 1945 Ausbomben ohne jeglichen Wiederaufbau im Stil der Backsteingotik, Vertreibung und der Zuzug der neuen Bewohner aus anderen sozialen Milieus, 1960 – 1980 heftige Entwicklung der Produktionshallen und Verwaltungsgebäuden mit totalem Verlust von Grünflächen – die Stadt wurde vom Eisenwerk verschluckt)
Die Beamtenvilla mit der neuerlich verputzten Fassade (die Backsteingotik verschwindet)
Paul Kupelwieser starb im Jahr 1919 in Wien und musste noch den Zerfall der Habsburgermonarchie erleben.
Video: https://www.youtube.com/watch?v=dJ0vKHggjno
Das Video zeigt die Grabstätte von dem Sohn von Paul Kupelwieser und dessen Frau auf Brioni. Musik zu Video: „Kupelwieser Waltzer“ (für Leopold K.) von Franz Schubert. Auch die Kroaten sprechen vom „Raj na Zemlji“ (Das Paradies auf Erden).
Verzeichnis der verwendeten Internetquellen finden Sie hier:
Literatur:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Kupelwieser
http://www.deutsche-biographie.de/sfz47108.html
http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_K/Kupelwieser_Paul_1843_1919.xml
Lied:
Ein Kroatisches Lied mit dem Thema Kupelwieser:
Paul Kupelwieser – Sanjar I Vizionar (Paul K. Träumer und Visionär)
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